Die Geschichte vom Bienenwagen (von Alina)

Es war einmal eine schöne, junge Elfenprinzessin, die besaß alles, was sie nur wollte. Sie hatte viele Zofen, Mägde, Köche und Leibwachen, die sich um sie kümmerten und so konnte sie den lieben langen Tag  durch den Wald spazieren, singen, tanzen und das tun, wonach ihr der Kopf stand. Sie gab unzählige Feste, denn sie liebte die Musik, und schuf so viele Möglichkeiten, von ihrem Volk bewundert zu werden, wenn sie prachtvolle Kleider trug und ihr Haar mit den bezauberndsten Blumen schmückte. Sie sonnte sich in der Aufmerksamkeit der anderen Elfen und so verging ihr Leben eine Weile. Mit der Zeit fühlte sie jedoch eine innere Leere, die sie bald nicht mehr ignorieren konnte. Damit einher kam eine immer größer werdende Sehnsucht in ihrem Herzen, diese Leere zu füllen. Sie gab noch mehr, noch prunkvollere Feste, doch die Leere blieb.

Die Elfenprinzessin kannte nur das Waldgebiet ihres Königreiches und wurde immer von Wachen begleitet, wenn sie im Wald umher spazierte. Sie wusste nichts von der Welt außerhalb ihres Waldes und den Kreaturen und Geschöpfen, die dort draußen hausten. Hätte sie davon gewusst, wäre sie vermutlich nie aufgebrochen, doch eines Tages beschloss sie tollkühn, auf die Suche zu gehen, nach dem, was ihr Herz wieder füllen könnte. Eines nachts schlich sie sich mit etwas Proviant und einer Decke im Beutel fort und wanderte viele Tage durch Wälder und Wiesen, durchquerte ein Bergland, rastete an einem kleinen Fluss, bis sie eines Abends in ein dichteres Waldstück kam. Da es bereits dunkel wurde, breitete sie ihre Decke aus, um sich bald zum Schlafen zu legen. Als die Nacht hereinbrach, spürte sie eine Unruhe. Es war still in dem Wald, nur der Wind raschelte in Laubdach der Bäume. Ihr wurde unbehaglich, doch sie konnte sich nicht erklären, warum. ‚Ach was, hab dich nicht so!‘, dachte sie bei sich und kuschelte sich noch enger in die Decke ein. Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Ein leises Knacken, Ächzen und Stöhnen. Der Wind wurde stärker. Sie schreckte auf, ihr Herz klopfte nun schnell. Da war ein hechelnder Atem, ganz in ihrer Nähe. Die Elfenprinzessin schrie auf, als sie zwei leuchtende Augen neben sich sah. Angst überkam sie und sie wollte weglaufen. Ein Knurren verfolgte sie. In ihrer Hast stolperte sie über eine dicke Wurzel und blieb zitternd liegen. Sie glaubte schon, ihr letztes Stündlein hätte geschlagen. Sie schloss die Augen und betete, dass der Tod sie schnell ereilte. Doch zu ihrer Überraschung spürte sie keine spitzen Zähne, die sie zerreißen wollten, sondern eine warme, feuchte Zunge, die ihr übers Gesicht leckte. Der Mond kam hinter den Wolken hervor und sie erkannte einen Hund mit beigefarbenem, zottigem Fell, der schwanzwedelnd über ihr stand. Verblüfft hob sie die Hand, um ihn zu streicheln und das schien ihm zu gefallen. Er rollte sich auf den Rücken. Lachend kraulte sie ihm den Bauch. „Na, wer bist du denn?“, rief sie verzückt. „Ich hatte schon geglaubt, ein Ungeheuer wollte mich fressen.“ Der Hund bellte erfreut und nach einer Weile, als sich die Elfenprinzessin beruhigt wieder hinlegte, kuschelte er sich an sie. In dieser Nacht schlief sie das erste Mal seit Beginn ihrer Wanderung tief und fest.

Am nächsten Morgen wurde die Elfenprinzessin von etwas Feuchtem im Gesicht geweckt. Sie schrak auf und sah das Gesicht des Hundes über sich. „Du bist ja noch da.“, rief sie erfreut und lachte, als er sie mit der Schnauze anstupste. Sie spürte einen Tatendrang, weiterzugehen und sprang auf die Beine. ‚Das wird bestimmt ein schöner Tag.‘, dachte sie bei sich. „Möchtest du mit mir kommen?“, fragte sie den Hund und als dieser einmal laut aufbellte und hechelnd um sie herum sprang, packte sie vergnügt ihre Habseligkeiten zusammen und machte sich auf den Weg. Am heutigen Tag fühlte sie sich leichter und froher. Es war ihr, als seien all die Ängste, mit denen sie aufgebrochen war, von ihr abgefallen. Nachdenklich betrachtete sie den Hund, der vor ihr herlief und mal an dem einen, mal an dem anderen Baum schnüffelte. ‚Vielleicht bringt er mir Glück.‘, dachte die Elfenprinzessin. Es schien ihr nach einer Weile, als würde er sie leiten und es dauerte nicht mehr lange, da teilte sich der Wald. Die Elfenprinzessin staunte nicht schlecht, denn mitten auf der Lichtung stand ein kunterbuntes Haus mit einer Veranda. Noch bevor sie sich genauer umsehen konnte, erblickte sie ein kleines Mädchen mit roten geflochtenen Zöpfen, die ihr vom Kopf abstanden, unzähligen Sommersprossen im Gesicht, Ringelsocken und viel zu großen Schuhen, das kopfüber von einem Verandabalken baumelte und frech grinste. „Hallo!“, rief es, als die Elfenprinzessin langsam näher kam. „Was schaust du denn so bedröppelt drein?“ „Ich, äh…“, stammelte die Elfenprinzessin. Sie war noch ganz erstaunt und wusste nichts zu sagen. „Ach, hast du etwa keine Stimmt? Na, da weiß ich weiter. Wir können uns auch mit Zeichensprache unterhalten.“ Das kleine Mädchen rollte sich mit einem Schwung von dem Balken herunter. Mit einem breiten Grinsen schlappte sie in ihren großen Schuhen auf die Elfenprinzessin zu und schüttelte ihr so stark die Hand, dass ihr ganzer Arm wackelte. Dabei stieß sie Laute aus, die die Elfenprinzessin entfernt an eine Kröte erinnerte. Das Mädchen verneigte sich vor ihr und hüpfte dann auf ihre Hände. Sie wackelte mit ihren Füßen, sodass die großen Schuhe nur so auf und ab hopsten und lief auf ihren Händen die Verandatreppe hoch. Vor der Tür drehte sie sich um und blickte die Elfenprinzessin erwartungsvoll an, bevor sie die Türklinke mit ihrem Schuh drückte und durch die Tür spazierte. Der Hund lief ihr hechelnd hinterher, während die Elfenprinzessin noch verdattert draußen stehen blieb. Eine Sekunde später öffnete sich das Fenster neben der Tür und das Mädchen schaute heraus. „Na, selbst deine Begleiterin hat mich verstanden. Komm herein.“ Die Elfenprinzessin löste sich aus ihrer Starre und hastete ins Haus. Der Anblick, der sich ihr bot, ließ sie dennoch wieder verdattert in der Türschwelle stehen. Das Mädchen lief auf den Händen durch eine große Küche, in der sich dreckige Töpfe, Pfannen, Teller und Tassen bis zur Decke stapelten. Dabei balancierte sie eine große Schüssel auf ihren Schuhsohlen. Sie kam am Herd an und sprang mit einem Schwung auf ihre Füße, dass die Schüssel genau auf ihrem Kopf landete. „Na sowas, wo hab ich sie nur hingetan?“, murmelte sie vor sich hin, während sie hin und her schaute, als würde sie etwas suchen. „Ha, ich weiß es!“, rief sie laut aus und öffnete schwungvoll den Ofen. „Hier hast du dich versteckt.“ Ein Huhn schaute heraus und als das Mädchen hineinlangte, sprang es gackernd heraus. „Ich wusste es!“ Das Mädchen zog den Arm heraus und hielt triumphierend ein Ei in der Hand. „Magst du Eierpfannkuchen?“, fragte sie die Elfenprinzessin. „Äh, ja, gern.“, sagte diese und als sie merkte, dass ihr Bauch vor Hunger knurrte, erinnerte sie sich daran, dass sie an diesem Tag noch nichts gegessen hatte. „Dann such dir einen Teller und ein freies Plätzchen.“, wies das Mädchen sie an, während sie in der Küche hantierte, Mehl, Eier und Milch in die Schüssel auf ihrem Kopf vermischte und schließlich den Teig in eine nicht mehr ganz so sauber wirkende Pfanne goss. Die Elfenprinzessin schluckte eine Bemerkung herunter und sah sich nach einem sauberen Teller um. „Wer bist du eigentlich?“, fragte sie. „Was, hast du das vorhin auch nicht verstanden? Mensch, Mensch, Mensch. Ich hab doch schon gesagt, dass ich Pippi Langstrumpf heiße.“ Bevor die Elfenprinzessin auch nur ein Wort darauf sagen konnte, flog ein goldgelber Eierpfannkuchen durch die Luft und landete auf dem Teller, den sie zwischen den ganzen Stapeln gefunden hatte. „Hier, es gibt Pflaumenmus dazu.“ Pippi schob ihr mit dem Schuh ein riesiges Glas zu, in dem eine feste, dunkle Masse klebte. Etwas skeptisch schraubte die Elfenprinzessin das Glas auf und zu ihrer Verwunderung stieg ihr ein fruchtig süßer Geruch in die Nase. „Das Pflaumenmus ist von meiner Mutter. Früher mochte ich es nicht, aber ich glaube, das lag daran, dass mir meine Mutter immer vorschreiben wollte, was ich zu tun und zu lassen habe. Sie hätte mir auch die leckerste Sahnetorte backen können, ich hätte sie nicht gewollt. Jetzt ist sie tot und mir schmeckt ihr Pflaumenmus! Fast schade, dass ich nur noch dieses eine Glas habe.“ „Wie kam es, dass du es auf einmal magst?“, fragte die Elfenprinzessin, während sie sich einen Löffel davon auf den Pfannkuchen kleckste. „Ich habe Frieden mit meiner Mutter geschlossen.“, antwortete Pippi mit vollen Backen und kaute genüsslich. „Oh.“, sagte die Elfenprinzessin gerührt. Eine Weile aßen sie schweigend. Als sie fertig waren, sprang Pippi auf. „So, jetzt spielen wir Schatzsuche!“, rief sie und zog die Elfenprinzessin auf die Beine. „Ich, äh, weiß gar nicht, wie das geht.“, stammelte diese und fühlte sich auf einmal unwohl. „Ach, Quatsch. Da gibt es keine Regeln. Außer die, dass es keine gibt. Los, ich habe heute früh schon im Garten gesucht.“ Sie zog sie mit sich in den Garten und wieder staunte die Elfenprinzessin, als sie dort ein Pferd und ein kleines Äffchen entdeckte. Der Hund, der sie begleitet hatte, hopste um sie herum und beschnupperte die anderen beiden Tiere. „Sie scheinen sich gut zu verstehen.“, meinte Pippi zufrieden. „Los, helft uns beim Suchen!“ Und sie lief durch den Garten, hin zu einem großen, hohlen Baum. Sie steckte den Kopf in den Stamm und zog ein kleines Kästchen heraus. „Ich habe ihn gefunden!“, rief sie triumphierend. Die Elfenprinzessin folgte ihr und sah ihr neugierig dabei zu, wie sie ein Stück Papier aus dem Kästchen zog. „Hier, ich kann nicht lesen. Lies du.“, forderte Pippi sie auf. Die Elfenprinzessin nahm das Papier und las: „‚Der wahre Schatz liegt im Innern.’ Was bedeutet das?“ „Na, das ist doch wohl klar.“, meinte Pippi und setzte eine ernste Miene auf. Dann streckte sie ihren Bauch heraus. „Mein Bauch verdaut gerade die Eierpfannkuchen!“ Und damit legte sie sich ins Gras. „Puh, ein Mittagsschläfchen ist jetzt genau das richtige.“ Immer noch nachdenklich betrachtete die Elfenprinzessin die Worte. „Darf ich das hier behalten?“, fragte sie. „Klar.“, murmelte Pippi schläfrig und im nächsten Moment hörte man nur noch ein leises Schnarchen von ihr. Die Elfenprinzessin steckte den Zettel in ihren Beutel und legte sich ebenfalls ins Gras. Sie dachte noch eine Weile über diese mysteriösen Worte nach, doch schon nach kurzer Zeit fielen auch ihr die Augen zu. Am Nachmittag, als die beiden erwachten, fragte Pippi, ob sie nicht bleiben wolle und die Elfenprinzessin stimmte freudig zu. Sie spielten fangen, Cowboy und Indianer, Schach und kletterten in den großen Bäumen im Garten. Noch nie hatte sich die Elfenprinzessin so ausgelassen und frei gefühlt und abends tat ihr der Bauch vor Lachen weh. Als es dunkel wurde, legten sich die beiden in ein riesiges Bett. „Liest du mir noch eine Gute-Nacht-Geschichte vor?“, bat Pippi. „Es ist doch zu ärgerlich, dass ich nicht lesen kann. So muss ich mir die ganzen Geschichten immer selbst ausdenken.“ „Ja, welche möchtest du hören?“, fragte die Elfenprinzessin. „Diese hier.“, Pippi schob ihr ein Buch zu, auf dessen Einband ein Mädchen, ein Holzfäller, eine Vogelscheuche, ein Löwe und ein kleiner Hund zu sehen waren. „Der Zauberer der Smaragdenstadt.“, las die Elfenprinzessin und schlug das Buch auf. Sie räusperte sich und begann. „Weit fort von hier, in Kansas, in Amerika, lebte einmal ein kleines Mädchen namens Elli. Elli wohnte mir ihren Eltern in einem umgebauten Packwagen mitten in der Prärie…“ Sie las, bis Pippi zu gähnen begann. „Na, hören wir auf für heute und schlafen?“, fragte die Elfenprinzessin sanft und schloss das Buch. „Ja, ich bin hundemüde.“, murmelte Pippi und kuschelte sich in die Decken. „Manchmal stelle ich mir vor, mit meinem Haus einfach los zu fliegen, wie Elli. Hach, das Leben ist doch ein Amüsement.“ Und schon schlief sie ein. Die Elfenprinzessin lag noch eine Weile wach. Sie fühlte sich voll, nicht nur von den Eierpfannkuchen. Nein, die Leere war kaum noch zu spüren, sie war innerlich gefüllt. Noch nie hatte sie so viel Spaß wie an diesem einen Tag. Früher hätte sie das alles albern und kindisch gefunden. Sie dachte noch an all die fantastischen und kreativen Geschichten, die sie sich mit Pippi ausgedacht hatte, an die unbekümmerte Freude an den Spielen. Mit einem Lächeln im Gesicht schlief sie schließlich ein.

Die Elfenprinzessin blieb noch eine Weile bei Pippi. Zusammen entdeckten sie neue Welten im Garten, erfanden die kuriosesten Spiele und abends, bevor sie schlafen gingen, las die Elfenprinzessin aus dem Buch „Der Zauberer der Smaragdenstadt“ vor. Die Elfenprinzessin begann, unbekümmert in den Tag hinein zu leben und das zu tun, was ihr Freude bereitete. Eines Tages jedoch spürte sie wieder diese Sehnsucht und sie wollte weiterziehen. „Na gut.“, sagte Pippi, als sie ihr von ihrem Vorhaben erzählte. „Aber komm mich wieder besuchen, wenn du weißt, was dein innerer Schatz ist.“ Mit diesen Worten sagten sie einander Lebewohl. Die Elfenprinzessin nahm ihren Beutel und der Hund begleitete sie wieder, als sie weiter in den Wald ging. Eine Weile pfiff sie fröhlich vor sich hin, machte Radschläge (die hatte sie bei Pippi gelernt) und summte ein Liedchen: „Ich mach’ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt!“ Immer wieder blieb sie stehen, um da und dort eine prächtige Blume oder eine knorrig gewachsene Wurzel zu betrachten, lachend einem Eichhörnchen nachzuschauen, das durch die Äste sprang und andächtig dem Gesang der Vögel zu lauschen. Ihr war noch nie aufgefallen, dass die Bäume so mächtig groß waren. Sie konnte die Baumwipfel nicht sehen und doch gab es immer wieder kahle Stellen, wenn ein Baum umgefallen war, durch die Licht auf den Boden drang. ‚Wie ist die Welt doch voller Wunder. So einzigartig jedes Geschöpf.‘, dachte sie, während der Hund um sie herumtollte.

Die Elfenprinzessin schritt beherzt voran und war so einige Tage unterwegs, bis sie an einen Backofen kam. ‚Ein Backofen im Wald? Seltsam.’, dachte sie und vernahm eine Stimme, die aus dem Ofen kam. Sie sah hinein und erblickte frisches Brot, das duftete herrlich. „Ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken.“ „Na nu.“, wunderte sich die Elfenprinzessin. „Das Brot spricht ja.“ Und nach kurzem Zögern trat sie hinzu und holte mit dem Brotschieber, der am Ofen lehnte, alle Brote nacheinander heraus. „Liebes Kind, nimm als Dank einen Laib Brot als Wegzehrung mit.“, rief das Brot. So nahm die Elfenprinzessin einen frisch duftenden Laib Brot und steckte ihn in ihren Beutel. Sie ging weiter, der Hund sprang um sie herum und bald kam sie an ein Bäumchen, das so voller Äpfel war, dass die Äste schon fast auf den Boden hingen.  Wieder vernahm sie eine Stimme. „Ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind schon alle miteinander reif.“ „Ich will es versuchen.“, antwortete die Elfenprinzessin und schüttelte den Baum, dass die Äpfel fielen, als regnete es, bis keiner mehr an den Ästen hing. „Liebes Kind, nimm dir als Dank so viele Äpfel mit, wie du tragen kannst.“ Und sie sammelte einige rotbackige, knackig aussehende Äpfel und füllte ihren Beutel damit. Dann ging sie weiter und kam bald an ein kleines Haus, vor dem stand ein großer Hollerbusch, voller duftender weißer Blüten. Inzwischen wunderte sie sich kaum noch, sondern war neugierig, als sie eine alte Frau erblickte, die aus dem Haus guckte. „Guten Tag.“, sagte diese und entblößte dabei große Zähne, die der Elfenprinzessin ein wenig Angst machten. Doch sie nahm all ihren Mut zusammen und grüßte freundlich zurück. „Liebes Kind, möchtest du bei mir bleiben? Wenn du alle Arbeit tun willst, die ich dir auftrage, so soll es dir gut gehen. Du musst nur achtgeben, dass du mein Bett machst und es gut aufschüttelst, dass die Federn fliegen. Dann schneit es in der Welt. Ich bin die Frau Holle.“ „Ja, warum nicht.“, antwortete die Elfenprinzessin. „Ich möchte gern bleiben und dir bei den Hausarbeiten zur Hand gehen. Schau, für unser Abendessen habe ich auch etwas dabei.“ Und sie holte das Brot und die Äpfel aus ihrem Beutel und machte sich sogleich daran, das Bett der Frau Holle einmal kräftig aufzuschütteln, bevor sie den Tisch für das Abendessen deckte.

So blieb die Elfenprinzessin also bei der Frau Holle. Sie putzte das Haus, kochte, fütterte die Hühner und Schweine im Stall neben dem Haus, kraulte die Katzen, bestellte den Garten und schüttelte jeden Morgen kräftig das Bett auf, sodass die Federn wie Schneeflocken umherflogen. Am Abend, wenn alle Arbeit getan war, saßen sie oft gemeinsam still unter einem kleinen Birnbaum. ‚Bisher habe ich mich in meinem Leben immer mit Dingen beschäftigen müssen, um diese Unruhe nicht zu spüren. Jetzt kann ich einfach nur sitzen und da sein. Und diese Leere habe ich schon lange nicht mehr gefühlt.‘, dachte die Elfenprinzessin eines Abends und spürte Energie durch ihren ganzen Körper bis in die Zehenspitzen fließen. So sprach sie also zu der Frau Holle: „Ich hatte es gut hier und habe viel gelernt. Doch langsam wird es Zeit für mich, nach Hause zurückzukehren.“ „Liebes Kind.“, sagte diese. „Du warst lange genug bei mir und hast mir gut gedient. Ich möchte dich morgen auf den richtigen Weg begleiten.“

Am nächsten Morgen gingen sie gemeinsam, gefolgt von dem Hund, zum Ende des Gartens. Dort stand ein großes Tor und als die Elfenprinzessin darunter hindurchging, fiel ein gewaltiger Goldregen auf sie herab und alles Gold blieb an ihr hängen. „Das sollst du zum Dank haben. Denn Dienen ist Hingabe an DAS.“, waren die letzten Worte, die sie von der Frau Holle hörte. Früher hätte sich die Elfenprinzessin in dem Gold, das sie nun wie eine zweite Haut umgab, auf jedem Fest bewundern lassen. Jetzt fühlte sie nur eine Leichtigkeit in sich, die sie fast schweben ließ. ‚Fühlt sich so Glück an?‘, dachte sie vergnügt, während sie den Weg nach Hause antrat.

Sie war erst seit zwei Tagen unterwegs und bisher niemandem begegnet, als der Hund, der immer noch treu an ihrer Seite lief, leise anfing zu knurren. „Na, was hast du denn? Ist da ein Eichhörnchen oder ein Reh?“, fragte die Elfenprinzessin und sah sich aufmerksam um. Es raschelte im Gebüsch und heraus trat ein Wolf. „Guten Tag, schönes Fräulein.“, sprach dieser. „So ein hübsches, goldiges Gesicht habe ich schon lange nicht mehr in diesem Wald gesehen. Wohin des Wegs?“ „Nach Hause.“, antwortete die Elfenprinzessin und war geschmeichelt von den Worten des Wolfes. „Ich war lange fort.“ „Oh, dann wird es doch sicher ein Willkommensfest für dich geben?“, fragte der Wolf. „Ja, wahrscheinlich. Ich habe früher viele Feste gegeben.“ „Na, dann solltest du dich aber fein herausputzen, bei so einem besonderen Anlass. Da hinten ist eine Lichtung, da stehen wunderschöne Blumen, die werden dich hübsch schmücken.“, sagte der Wolf. „Ach, das ist eine wunderbare Idee!“, rief die Elfenprinzessin verzückt. Der Hund neben ihr knurrte immer lauter und fing nun an zu bellen. „Na, ich wundere mich, was mit dir los ist. Nun hab dich nicht so!“, rief sie ihm zu. „Ich will doch nur ein paar Blumen für mich pflücken und dann gehen wir schnurstracks nach Hause.“ Ohne den Hund weiter zu beachten, der immer noch knurrte und sitzen blieb, lief sie in die Richtung, die der Wolf ihr gezeigt hatte. Schon nach kurzer Zeit teilte sich der Wald ein wenig und sie erblickte eine Lichtung, die so voller prächtiger Blumen stand, dass es ihr eine Freude war. Die Elfenprinzessin pflückte so viele Blumen, wie sie tragen konnte. „Da werden die anderen Augen machen, wenn ich mit solch wunderschönen Blumen nach Hause komme. Ach, hoffentlich welken sie nicht, bis ich daheim bin.“ Sobald sie einen großen Strauß beisammenhatte, wollte sie den Rückweg antreten, doch sie konnte sich nicht mehr erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war, so tief war sie in das Pflücken der Blumen versunken gewesen. ‚Oh je, war es diese Richtung oder bin ich von dort gekommen?’, überlegte sie. ‚Ich glaube, ich kam von dort, oder?‘ Sie entschied sich und ging los, doch sicher war sie sich nicht, ob sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Alle Bäume sahen nunmehr gleich für sie aus. ‚Ach, wenn jetzt doch der Hund bei mir wäre. Er wüsste bestimmt den Weg.‘ Die Elfenprinzessin geriet immer tiefer in den Wald hinein und nach einer Weile musste sie sich eingestehen, dass sie sich verirrt hatte. Es ging bereits auf den Abend zu, sie war müde und hungrig und hatte den Weg immer noch nicht gefunden. ‚Na gut, dann werde ich mich erst einmal ausruhen und morgen sieht die Welt bestimmt schon ganz anders aus.‘ Sie legte sich auf ein Kissen aus bunten, duftenden Blumen und da sie den ganzen Tag gelaufen und nun erschöpft war, schlief sie bald ein.

Am nächsten Morgen erwachte die Elfenprinzessin früh, weil sie fror. Der Raureif hing auf den Blättern, die Luft hatte sich merklich abgekühlt und die Blumen waren inzwischen alle verwelkt. ‚Ach, wäre ich doch nur nicht vom Weg abgekommen. Vermutlich wäre ich schon zu Hause. Wie dumm ich doch war, so eitel, und alles wegen ein paar Blumen.‘, schalt sie sich wütend. ‚Das habe ich nun davon.‘ Sie ging weiter, auch wenn sie nun gar nicht mehr wusste, wo sie war. Die Elfenprinzessin lief den halben Tag und fühlte sich immer elender. Da hörte sie ein entferntes Rauschen. ‚Das hört sich an wie Wasser!‘, dachte sie und Hoffnung begann in ihr aufzuflammen. Sie folgte dem Rauschen und gelangte schließlich an den Rand des Waldes. Vor ihr breitete sich ein Bergland aus, durch dessen Felsen sich ein breiter Fluss seinen Weg hinab ins Tal bahnte. Ihr Herz machte einen Sprung. ‚Diesen Fluss kenne ich doch!‘, dachte sie. ‚Doch er ist viel breiter als beim letzten Mal.‘ Sie näherte sich dem Fluss und gelangte an eine Stelle, an der ein großer Baum wie eine Brücke über den Felsen hing. Das Wasser schoss mit rascher Geschwindigkeit darunter hindurch. Die Elfenprinzessin schluckte. Aus dem Fluss ragten spitze Steine, an denen das Wasser aufschäumte. Sie nahm all ihren Mut zusammen, stieg vorsichtig auf den Baum und tastete sich langsam voran. Sie hatte schon die Hälfte des Weges über den Fluss hinter sich, als sie plötzlich an einer nassen Stelle abrutschte. Sie konnte sich gerade noch an dem Baumstamm festhalten, doch nun baumelte sie über dem tosenden Fluss. Ihr Herz fing an, wie wild zu pochen. Angst und Verzweiflung überkamen sie. Sie krallte sich an einem abstehenden Ast fest, doch spürte langsam, wie ihre Kräfte schwanden. ‚Was mache ich jetzt bloß? Ich werde sterben und meine Familie und Freunde nie wiedersehen.‘ Tränen rollten ihr über das Gesicht. Ein Schmerz füllte ihr Herz aus. ‚Was soll ich mit all meinen Erfahrungen anfangen, wenn ich sie nicht mit den Menschen teilen kann, die ich liebe?‘ Es schien ihr, als würde der Fluss unter ihr lachen. Eine Schmerzwelle überrollte sie von innen, ihre Finger rutschten immer weiter von dem Ast ab und sie konnte sich kaum mehr halten. Und in dem Moment, in dem sie schon aufgeben und loslassen, sich den Stromschnellen übergeben wollte, hörte sie etwas. Sie fühlte eine Leere, eine Tiefe und Weite und es schien ihr, als hörte sie die Stimme des Flusses. Es waren viele Stimmen, frohe, weinende, kindliche, männliche, voller Klagen, Leid und Zorn, Lachen, Stöhnen und Sterben. Bald schon waren sie eins. Alles zusammen, alle Stimmen, alle Ziele, alles Sehnen, alles Leiden, alle Lust, alles Gute und Böse, alles zusammen war die Welt, war der Fluss des Geschehens, war die Musik des Lebens. Und die Elfenprinzessin fühlte sich wach und klar und vernahm in der einen Stimme, die aus tausend Stimmen bestand, das Ganze, die Einheit und das große Lied der tausend Stimmen bestand aus einem einzigen Worte, das hieß Om: die Vollendung. Und dann konnte sie sich nicht länger halten und fiel in den Fluss, doch sie fiel ohne Angst und lächelte dabei, denn sie hatte das gefunden, wonach sie so lange gesucht hatte: die Einheit, die ewige Vollkommenheit der Welt, und nun war alles gut so, wie es war.

Als die Elfenprinzessin die Augen aufschlug, brauchte sie einen Moment, um sich zu erinnern, was geschehen war. ‚Ich bin in den Fluss gefallen.‘, dachte sie. ‚Bin ich tot?‘ „Du bist lebendig, du bist tot. Du bist alles.“, hörte sie eine Stimme. Die Elfenprinzessin richtete sich auf und fand sich in einem Garten wieder, in dem ein Bauwagen mit einer kleinen Veranda stand und der voller Sonnenblumen war. Die Luft war erfüllt von summenden Bienen und eine Wolke in Form eines Engels mit ausgebreiteten Flügeln zog langsam über den hellblauen Himmel, von dem die Sonne herunter strahlte. Eine Frau saß einige Schritte von ihr entfernt im Schneidersitz auf dem Boden, im Schatten eines großen Baumes und lächelte. Die Elfenprinzessin sah sie an und war wie verzaubert, denn aus den blauen Augen, die sie anblickten, schien ihr das Licht der ganzen Welt entgegen. Der Hund, der sie auf ihrem Weg treu begleitet hatte, saß an ihrer Seite und sprang nun freudig schwanzwedelnd auf sie zu. „Aber, wie… woher… was…“, stammelte die Elfenprinzessin und lachte, als der Hund ihr stürmisch über das Gesicht leckte. „Ich bin Yantah.“, sagte die Frau. Und die Elfenprinzessin blickte sie an und Yantahs Gesicht verwandelte sich in das der Pippi Langstrumpf, in das der Frau Holle und dann war sie wieder Yantah, ‚die, die nicht glaubt’. Und alle Geschichten, alle Gefühle und Gedanken waren auf einmal verschwunden und die Elfenprinzessin spürte die vollkommene Wahrheit: Liebe.